1911, Faschingszeit. Rosenmontag, gegen 10 Uhr morgens
Auf der großen Steintreppe zur Terrasse des Schlosses versammelten sich 30-40 Kinder aus dem Dorf, aus allen Straßen waren wir zum Schloss hinauf gelaufen. Wir sangen: „ … gib uns nicht wenig, Herr König…“
Baron Ascan Heinrich Christian von Swaine, ein 2m-großer, dürrer Mann öffnete im Obergeschoss ein Fenster. Seine Hemdsärmel hatte er hochgekrempelt und die dunkelgrüne Strickjacke trug er offen. In der Hand hielt er eine rohe Zwiebel und eine trockne Scheibe Brot. Muss ein armer Mann sein, dachte der eine oder andere von uns, als wir sahen, wie der Baron in die Zwiebel biss.
Wir Kinder jubelten und trällerten lautstark unser Lied „…gib mir nicht zu wenig, Herr König. lass mich nicht zu lange stehn,denn ich muss noch weiter gehn. Bis vor Nachbars Türe, da gibt es Äpfel und Birnen. Äpfel und Birnen schmecken gut. Die stecke ich mir in meinen Hut.“
Kauend verschwand Ascan von Swaine im Zimmer. Nach wenigen Augenblicken erschien er erneut am Fenster und ließ eine Hand voll Kupferpfennige auf uns Kinder niederprasseln. Kreischend stürzten wir uns auf die Pfennige. Egon schupste die kleine Johanna zur Seite: „Das ist meiner.“ Johanna schniefte, warf einen ihrer roten Zöpfe nach hinten. Dann sprang sie ein, zwei Treffenstufen nach unten und hob einen anderen Kupferpfennig auf. Strahlend schob sie ihn in ihre Manteltasche. Jeder von uns versuchte einen der über die Steinstufen verstreuten Pfennige zu erhaschen.
„Höh, hab ihr auch alle einen“, rief der Baron nach unten. Wir Kinder hielten alle samt ihren Kupferpfennig nach oben. Nur der kleine Paul hatte keinen erwischt. Mit gesenktem Kopf zog er seine Hosentasche nach außen. Laut schniefte er. Da griff der Baron in seine Westentasche und warf noch einen Pfennig nach unten. Er kullerte die Stufen hinunter und Paul rannte hinterher. Glücklich hob er den Kupferpfennig hoch in Richtung Fenster. Ascan von Swaine nickte kurz, biss in seine Zwiebel, dass sich der kleinen Johanna vom Zusehen die Nackenhaare hochstellten. Kauend verschloss der Baron das Fenster.
Wir Kinder sprangen von der Steintreppe und liefen lachend und grölend durch den Torbogen über die Steinbrücke und ins Dorf zurück.